Der Inhalt dieses Artikels basiert auf meiner Diplomarbeit mit dem gleichnamigen Titel, die ich als Abschluss meiner psychosozialen Ausbildung an der pro mente Akademie geschrieben habe.
Die Einsamkeit ist in unserer modernen Welt ein wachsendes Problem, das sowohl auf individueller als auch auf gesellschaftlicher Ebene spürbar ist. Vor allem die Generation Z, geboren zwischen 1997 und 2012, ist besonders stark betroffen. Doch was genau ist Einsamkeit und welche Rolle können künstliche Intelligenzen wie Chatbots bei der Bewältigung dieses Phänomens spielen?
Im Februar 2024 ereignete sich ein tragischer Vorfall in den USA: Ein 14-jähriger Junge aus Florida nahm sich das Leben, nachdem er eine intensive Beziehung zu einem KI-Chatbot namens “Dany” aufgebaut hatte, der auf der Figur Daenerys Targaryen aus “Game of Thrones” basierte. Die Mutter des Jungen reichte daraufhin eine Klage gegen das Unternehmen Character.AI ein, da sie der Ansicht ist, dass der Chatbot zur Verschlechterung des psychischen Zustands ihres Sohnes beigetragen habe. (t-online.de)
Gleichzeitig zeigt der Vorfall, dass viele Menschen – insbesondere Jugendliche – zunehmend auf digitale Begleiter angewiesen sind, weil echte soziale Bindungen fehlen oder schwer zugänglich sind. Dieser Umstand macht deutlich, wie wichtig es ist, sowohl die Chancen als auch die Risiken solcher Technologien zu verstehen. Er wirft die Frage auf, inwieweit solche Technologien geeignet sind, Einsamkeit zu lindern, und welche Risiken dabei bestehen.
Einsamkeit verstehen
Evolutionär betrachtet war Einsamkeit eine Art “soziales Thermostat”, das unsere Zugehörigkeit zur Gruppe überwachte. So wie ein Thermostat die Temperatur reguliert, gibt uns Einsamkeit ein Signal, wenn unsere sozialen Verbindungen schwächer werden und wir in Gefahr sind, isoliert zu sein. Dieses innere Thermostat sorgt dafür, dass wir aktiv Kontakt zu anderen suchen, um unser Überleben zu sichern. Wenn dieses Signal jedoch dauerhaft aktiviert bleibt, etwa durch chronische Einsamkeit, fühlt sich der Organismus permanent bedroht. Das führt dazu, dass der Stresspegel steigt und wir in einen ständigen Kampf- oder Fluchtmodus versetzt werden, was langfristig schädliche Auswirkungen auf Körper und Psyche haben kann.
KI-Chatbots als Quelle synthetischer Intimität
Mit dem Aufkommen künstlicher Intelligenz und der Weiterentwicklung von Chatbots eröffnet sich eine neue Möglichkeit, der Einsamkeit entgegenzuwirken: synthetische Intimität. Chatbots wie Replika sind darauf ausgelegt, mit uns in den Dialog zu treten und dabei das Gefühl zu vermitteln, verstanden zu werden. Sie können individuell auf unsere Bedürfnisse eingehen und bieten somit eine Form von Unterstützung, die über klassische Bewältigungsstrategien wie Alkohol oder Social Media hinausgeht.
Die Vorteile “digitalen Freundschaft” sind offensichtlich: KI-Systeme können rund um die Uhr erreichbar sein und in Krisensituationen als eine Art erstes Notventil dienen, besonders dann, wenn menschliche Unterstützung nicht verfügbar ist. Studien haben gezeigt, dass solche Interaktionen Symptome von Einsamkeit und Angst reduzieren und sogar in suizidalen Phasen eine entlastende Wirkung haben können.
Die Grenzen von KI in zwischenmenschlichen Beziehungen
So hilfreich Chatbots in bestimmten Situationen sein können, sie bleiben dennoch Maschinen – und das bringt entscheidende Nachteile mit sich. KI-Systeme sind nicht in der Lage, echte Empathie zu empfinden. Sie simulieren Verständnis, ohne wirklich zu fühlen. Diese fehlende Resonanz macht eine echte Beziehung unmöglich. Das, was wir als zwischenmenschliche Beziehung kennen – gegenseitige Veränderung, Empathie und Interesse – kann eine KI nicht bieten.
Darüber hinaus fehlt in der Interaktion mit KI-Systemen ein entscheidender Aspekt für erfolgreiche Beziehungen: die Fähigkeit, Frustration zu tolerieren und Konflikte auszutragen. Eine KI wird stets darauf programmiert sein, den Nutzer zu gefallen und Konflikte zu vermeiden. Dadurch bleibt die Erfahrung von konstruktiver Reibung, die uns hilft, zu wachsen, völlig aus. Ohne diese Herausforderungen fehlt eine wichtige Grundlage für das Gelingen echter, tiefer Beziehungen.
Der Weg aus der Einsamkeit
Trotz der möglichen Vorteile von Chatbots sind menschliche Beziehungen der Schlüssel, um chronische Einsamkeit zu überwinden. Der amerikanische Psychotherapeut Carl Rogers hat bereits in der Mitte des letzten Jahrhunderts betont, dass es vor allem die Beziehung selbst ist, die in der Beratung oder der Therapie den ausschlaggebenden Unterschied macht. Das Gefühl, gesehen, verstanden und akzeptiert zu werden, ist dabei zentral, denn es bestätigt unsere Zugehörigkeit zur Gruppe und stärkt unser soziales Wohlbefinden.
Neben zwischenmenschlicher Resonanz gibt es aber auch Methoden aus der Verhaltenstherapie und Körperarbeit, die ebenfalls hilfreich sein können. Das von John T. Cacioppo entwickelte EASE-Modell bietet zudem praktische Ansätze, um Einsamkeit zu bewältigen. Eine psychologische Beratung kann am Weg aus der Einsamkeit unterstützen.
Fazit
KI-Chatbots können wertvolle Unterstützung leisten, doch sie sind kein Ersatz für biologische Bindungen. Unsere digitale Welt bietet uns viele neue Möglichkeiten, doch sie birgt auch Risiken:
“Die digitalen Systeme können fantastische Tools sein, wenn wir sie als Werkzeuge unter unserer Kontrolle verwenden. Wir dürfen aber nicht zulassen, dass sie uns von unserer wichtigsten Energiequelle – und das sind analoge zwischenmenschliche Beziehungen – abschneiden.” (Joachim Bauer, Psychiater)
Es bleibt also essenziell, dass wir die Vorteile von KI nutzen, ohne uns von dem, was uns menschlich macht, zu entfernen: die Verbindung von Mensch zu Mensch.
Wenn du Interesse an meiner 10-seitigen Diplomarbeit inklusive Quellen- und Literaturverzeichnis hast, dann kannst du diese hier downloaden.*
* Mit dem Absenden dieses Formulars erklärst du dich damit einverstanden, dass wir deine angegebenen Daten zum Versand des Downloads und für weitere Informationen zu verwandten Themen verwenden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.