Wir alle atmen. Jeden Tag, ganz automatisch. Doch nur selten machen wir uns bewusst, wie sehr unser Atem unser Wohlbefinden beeinflusst.
Atemtraining oder Atemarbeit („Breathwork“) bedeutet, den Atem gezielt einzusetzen, um Körper, Geist und Emotionen zu regulieren. Was auf den ersten Blick einfach klingt, ist ein mächtiges Werkzeug, das auch wissenschaftlich untersucht wird – von Stressreduktion über Resilienzsteigerung bis hin zu mehr Leistungsfähigkeit im Sport.
In diesem Artikel erfährst du, was Atemtraining ist, wofür es hilft und warum es wirkt. Außerdem gebe ich dir einen Überblick über verschiedene Atemtechniken.
Was ist Atemarbeit?
Atemarbeit beschreibt den bewussten, gezielten Einsatz des Atems, um auf körperlicher und psychischer Ebene eine Veränderung herbeizuführen. Während unser Atem im Alltag automatisch gesteuert wird, ist er zugleich Ausdruck unseres inneren Zustands.
Indem wir die Atmung aber auch bewusst beeinflussen können, entsteht eine Rückkopplung: Wir nehmen nicht nur wahr, wie wir uns fühlen, sondern können durch den Atem auch direkten Einfluss auf unser inneres Erleben nehmen. So bietet bewusstes Atemtraining die Möglichkeit, gezielt auf unser Nervensystem einzuwirken.
Der Unterschied:
- Unbewusstes Atmen läuft im Hintergrund, gesteuert vom autonomen Nervensystem.
- Bewusstes Atemtraining ist eine Form der Selbstregulation: Wir verändern Tiefe, Rhythmus oder Frequenz der Atmung, um gezielt Entspannung, Fokus oder Energie hervorzurufen.
Alltagstipp: Schon wenige Minuten bewusstes Atmen im Büro oder auf dem Weg zur Arbeit können helfen, den Tag klarer und ruhiger zu gestalten.

Wofür hilft Atemtraining?
Die Einsatzgebiete sind breit gefächert und wissenschaftlich belegt:
- Stressreduktion: Durch langsames, gleichmäßiges Atmen, mit besonderem Fokus auf eine verlängerte Ausatmung, wird der Parasympathikus aktiviert, der Teil des Nervensystems, der für Ruhe und Regeneration zuständig ist. Cortisolwerte sinken, Anspannung lässt nach. Ein paar tiefe Atemzüge vor einem wichtigen Meeting oder nach einem anstrengenden Arbeitstag können helfen.
- Emotionale Regulation: Studien zeigen, dass Atemübungen helfen, Emotionen besser zu regulieren, Stressreaktionen schneller abklingen zu lassen und dadurch die Resilienz im Alltag zu stärken. Ideal in Momenten von Ärger, Nervosität oder Konflikten.
- Schlaf & Erholung: Ein langsamer Atemrhythmus unterstützt das Einschlafen, verlängert die Tiefschlafphasen und kann nächtliches Aufwachen reduzieren. Besonders hilfreich, wenn Gedanken kreisen.
- Körperliche Leistungsfähigkeit: Regelmäßiges Training der CO₂-Toleranz verbessert die Sauerstoffaufnahme, erhöht die Ausdauer und kann Erschöpfung hinauszögern, ein entscheidender Faktor für sportliche Performance, etwa beim Laufen oder Radfahren.
- Mentale Klarheit: Atemübungen erhöhen die Herzratenvariabilität, was mit besserer Konzentration, Entscheidungsfähigkeit und einer schnelleren Erholung nach Stress verbunden ist. Praktisch vor Prüfungen oder kreativen Aufgaben.
- Sexualität & Intimität: Atemtraining verbessert die Durchblutung, vertieft die Körperwahrnehmung, unterstützt die Regulation von Erregung und kann dazu beitragen, Orgasmen intensiver zu erleben und Intimität bewusster zu gestalten. Besonders hilfreich, um Leistungsdruck zu reduzieren.
Warum wirkt Atemtraining
Die Wirkung ist vielfältig und lässt sich durch drei zentrale Mechanismen erklären: Zum einen wirkt sie neurobiologisch, indem der Atem über den Vagusnerv und die Herzratenvariabilität direkt unser Nervensystem beeinflusst. Entscheidend ist hier die sogenannte vagale Bremse, die wie ein Stressschutzschalter wirkt.
Zum anderen greift Atemarbeit biochemisch, weil wir durch Veränderungen in Atemrhythmus und -tiefe den CO₂-Gehalt im Blut regulieren und damit pH-Wert, Sauerstoffversorgung und Energielevel steuern. Besonders relevant ist dies für sportliche Leistung, da eine höhere CO₂-Toleranz die Sauerstoffverwertung effizienter macht.
Schließlich gibt es eine psychologische Dimension: Der bewusste Fokus auf den Atem ähnelt Achtsamkeit, vermittelt Kontrolle und Präsenz und entlastet so unser Stresssystem. Das macht Atemarbeit zu einem Werkzeug, das Körper und Psyche gleichermaßen verbindet.

Überblick über Atemtechniken
Es gibt viele unterschiedliche Methoden, je nach Zielsetzung von entspannend bis aktivierend:
- 4-7-8-Atmung: 4 Sekunden einatmen, 7 Sekunden den Atem anhalten, 8 Sekunden ausatmen. Diese verlängerte Ausatmung aktiviert den Parasympathikus, senkt Herzfrequenz und Blutdruck und wird häufig als Einschlafhilfe genutzt.
- Kohärentes Atmen: ca. 5–6 Atemzüge pro Minute, fördert Gleichgewicht im Nervensystem. Dieser Rhythmus trainiert die vagale Bremse und stärkt dadurch innere Ruhe und Resilienz, um weniger schnell in Stress, Angst oder Panik zu geraten. Ein regelmäßiges Training ist wichtig, um die Wirkung langfristig aufzubauen. Ideal für den täglichen Start in den Tag.
- Box Breathing: 4 Sekunden einatmen – 4 halten – 4 ausatmen – 4 halten. Beliebt im Leistungssport und Militär. Diese Technik beruhigt den Geist, senkt Stresslevel, schärft die Konzentration und stärkt die Fähigkeit zur emotionalen Selbstkontrolle. Besonders nützlich in Prüfungssituationen oder bei öffentlichen Auftritten.
- Hypoxische CO₂-Toleranzübung: Kombination aus langsamer Atmung, reduzierten Atemzügen und kurzen Atempausen. Sie steigert die CO₂-Toleranz, verbessert Sauerstoffnutzung und Ausdauer und wird vor allem im sportlichen Kontext als Leistungs- und Regenerationstraining eingesetzt.
- Fire Breathing (Kapalabhati): Eine dynamische Technik aus dem Yoga mit schnellen, kraftvollen Ausatmungen und passiven Einatmungen. Sie wirkt aktivierend, fördert die Durchblutung, reinigt die Atemwege, trainiert das Zwerchfell und steigert Fokus und Energie.
- Orgasmic Breathing: Verbindet Atem, Körperbewegung und Fokussierung auf sexuelle Erregung. Fördert Durchblutung, verstärkt Körperempfindungen und kann zu intensiveren Orgasmen führen. Unterstützt zudem die Fähigkeit, Scham zu lösen und Intimität bewusster zu erleben.
- Primal Breathing: Lange, intensive Atemsessions, die zu veränderten Bewusstseinszuständen führen können. Sie ermöglichen den Zugang zu tieferen Gefühlen und verdrängten Emotionen, die im geschützten Setting zum Ausdruck kommen. Dadurch wird emotionale Verarbeitung und innere Klärung gefördert.
Diese Übersicht zeigt die Bandbreite: von sanften, alltagstauglichen Übungen bis hin zu intensiven Methoden, die in professioneller Begleitung stattfinden sollten.
Dein Einstieg: Die 5-Minuten-Notfallatmung
Wenn du Atemtraining direkt ausprobieren möchtest, empfehle ich dir meine 5-Minuten-Notfallatmung. Sie ist ein einfacher, wissenschaftlich fundierter Einstieg, mit dem du dein Nervensystem in kurzer Zeit regulieren kannst. Ideal in stressigen Momenten, bei Nervosität im Job oder wenn die Gedanken kreisen.
Fazit
Atemarbeit ist weit mehr als ein Trend – sie ist ein wirksames und wissenschaftlich belegtes Werkzeug für Gesundheit, Resilienz und persönliche Entwicklung. Ob du Stress abbauen, deine sportliche Leistungsfähigkeit steigern, deine emotionale Stabilität fördern oder deine Sexualität vertiefen möchtest: Dein Atem ist bis zum Ende immer verfügbar.
